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Erdbe­ben­si­cherheit von Gebäuden – Was man als Eigen­tümer wissen muss

Letzte Aktualisierung: 22. April 2025

Dass Erdbeben grossen Schaden anrichten können, ist bereits seit Langem bekannt. Die Erkenntnis, dass die von Erdbeben ausge­hende Gefahr in der Schweiz aber unter­schätzt wurde, hat sich aber erst in der jüngsten Vergan­genheit durch­ge­setzt. In der Folge wurden in den letzten Jahren die Anfor­de­rungen an die Gebäu­de­trag­werke in Bezug auf Erdbe­ben­si­cherheit massiv erhöht. Auf was haben Eigen­tümer nun besonders zu achten?

Gebäu­de­ei­gen­tümer haften für Schäden an Gütern und Personen

Bei der Entwicklung von Neubauten sind die betei­ligten Fachplaner, Archi­tekten und Bauun­ter­nehmen gemäss Art. 364/398 OR dazu verpflichtet, den Bauherrn fachlich zu unter­stützen und die «anerkannten Regeln der Technik» vollum­fänglich einzu­halten [7]. Als Fachleute haften sie gegenüber dem Bauherrn für diese Einhaltung.

«Das sorgfältige und vollum­fäng­liche Einhalten der SIA-Normen vermeidet recht­liche Probleme und entspre­chende Schwie­rig­keiten für alle Betei­ligten!» (Zitat aus [5])

Nach Fertig­stellung geht die Haftung für die Aufrecht­erhaltung der Normen­kon­for­mität auf den Bauherrn über. Die Eigen­tümer sind generell für den fachge­rechten Erhalt der Gebäu­de­trag­werke verant­wortlich. Entspre­chend haften sie gemäss Art. 58 OR für Schäden, die durch ein mangel­haftes Bauwerk an Gütern und Personen entstehen (Werkei­gen­tü­mer­haftung). Eigen­tümer sind dafür verant­wortlich, dass der Entwicklung der Technik gefolgt wird und allen­falls Anpas­sungen an ihren Bauwerken vorge­nommen werden, damit diese den neuesten Sicher­heits­an­for­de­rungen entsprechen.

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Eine Überprüfung des bestehenden Tragwerks muss gemäss SIA 269 (Erhaltung von Tragwerken) bei Umbauten, einer Änderung der Nutzung oder der Nutzungs­an­for­de­rungen sowie dann, wenn eine neue Erkenntnis über Einwir­kungen oder Tragwerks­ei­gen­schaften vorliegt (z.B. Anpas­sungen in den Normen), vorge­nommen werden. Entspre­chend können bis dato normen­kon­forme Gebäude bei solchen Änderungen über die Zeit mangelhaft werden. Beispiels­weise führten Erkennt­nisse aus dem Garagen­dach­ein­sturz in Gretzenbach im Jahr 2004 dazu, dass Einstell­hallen schweizweit auf Durch­stanz­si­cherheit überprüft und gegebe­nen­falls ertüchtigt werden mussten.

Erdbe­ben­si­cherheit in der Schweiz

In der Schweiz stellt das Erdbe­ben­risiko das bedeu­tendste Risiko aus Natur­ge­fahren dar [5]. Dass die von Erdbeben ausge­hende Gefahr nicht immer derart einge­stuft wurde, zeigt eine Analyse der Entwicklung der Tragwerks­an­for­de­rungen an die Erdbe­ben­si­cherheit der vergan­genen Jahrzehnte: Im Jahre 1970 wurden die ersten Erdbe­ben­be­stim­mungen in das Schweizer Normenwerk aufge­nommen. Mit dem Fortschritt der Technik sowie der Wissen­schaft wurden die Anfor­de­rungen in den Normen­re­vi­sionen stark angehoben, sodass die Anfor­de­rungen an die Bemes­sungs­ein­wirkung heute rund zehnmal so hoch sind wie noch im Jahr 1970 (folgende Abbildung).

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Trotz der Erkennt­nisse, dass Erdbeben grosse Schäden anrichten können, werden die SIA-Bestimmungen zur Erdbe­ben­si­cherheit in der Praxis, insbe­sondere bei privaten Bauten, oft nicht genügend einge­halten [7]. Dies ist unter anderem auf die kantonal unter­schied­lichen, erdbe­ben­spe­zi­fi­schen Auflagen zurück­zu­führen. Nur in wenigen Kantonen gibt es erdbe­ben­spe­zi­fische Auflagen im Rahmen des Baube­wil­li­gungs­ver­fahrens (nächste Abbildung).

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Wann ist ein Gebäude mangelhaft?

Für die statische Überprüfung von Tragwerken bezüglich Erdbeben wird nach dem heutigen Stand ein sogenanntes «Bemes­sungs­erd­beben» heran­ge­zogen. Für Gebäude herkömm­licher Schutz­wür­digkeit (Bauwerk­klasse I), zu welchen auch Wohnbauten und herkömm­liche Büroge­bäude zählen, entspricht dieses Bemes­sungs­erd­beben einem Erdbe­be­n­er­eignis, das an einem bestimmten Standort statis­tisch gesehen einmal in 500 Jahren zu erwarten ist. Dabei gilt, dass Gebäude, die als «erdbe­ben­sicher» katego­ri­siert werden, im Falle des Eintritts eines Bemes­sungs­erd­bebens nicht einstürzen und noch evakuiert werden können. Starke Schäden bis hin zur gänzlichen Unbrauch­barkeit der Struk­turen werden gemäss den heutigen Normen hingegen in Kauf genommen.

«Gebäude der Bauwerk­klasse I werden auf ein Bemes­sungs­erd­beben ausgelegt, welches statis­tisch gesehen einmal in 500 Jahren auftritt. Kernkraft­werke werden hingegen auf ein Bemes­sungs­erd­beben ausgelegt, welches statis­tisch gesehen einmal alle 10’000 Jahre eintritt.»

Bei der stati­schen Prüfung eines Tragwerks bezüglich Erdbe­ben­si­cherheit, wird der sogenannte Erfül­lungs­faktor «α» ermittelt. Dieser stellt das Verhältnis von Bemes­sungs­ein­wirkung und Tragwerks­wi­der­stand dar. Ein Erfül­lungs­faktor von 1.0 (und höher) bedeutet somit, dass das Tragwerk den aktuellen Normvor­gaben entspricht (oder diese übersteigt).

Bei Bestands­bauten, die nicht nach der aktuellen Norm bemessen wurden, ist dies nur sehr selten der Fall. Als effektiv mangelhaft werden Tragwerke jedoch erst dann einge­stuft, wenn sie einen Schwel­lenwert «αmin» unter­schreiten. Diese Gebäude erfüllen die Mindest­an­for­de­rungen an die Perso­nen­si­cherheit unter Erdbe­ben­ein­wir­kungen gemäss geltender Baunormen nicht und müssen somit sofort ertüchtigt werden. Im Gegensatz dazu sind bei einem «ungenü­genden» Gebäude die Mindest­an­for­de­rungen an die Perso­nen­si­cherheit erfüllt, die Normen­kon­for­mität jedoch nicht gewähr­leistet. Diese Gebäude können im Rahmen des regulären Erneue­rungs­zyklus ertüchtigt werden, sofern eine syste­ma­tische Erfassung und Priori­sierung innerhalb des Portfolios statt­finden.

Die Norm 269/8 legt den Schwel­lenwert «αmin» je nach Gebäu­detyp fest. Gebäude mit herkömm­licher Schutz­wür­digkeit, wie z.B. herkömm­liche Büro- oder Wohnbauten, müssen einen Erfül­lungs­faktor von «αmin» = 0.25, Gebäude mit höherer Schutz­wür­digkeit, wie z.B. Schulen oder Kranken­häuser, einen Erfül­lungs­faktor von «αmin» = 0.40 erreichen, um nicht als mangelhaft zu gelten.

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Mit diesen Kosten muss gerechnet werden

Sollte die statische Analyse eines Tragwerks ergeben, dass die geltenden Normvor­schriften nicht einge­halten werden, muss das Tragwerk – entweder sofort (wenn mangelhaft) oder beim nächsten Sanie­rungs­zyklus (wenn ungenügend) – ertüchtigt werden. Die Inves­ti­tionen, die für Erdbe­be­n­er­tüch­ti­gungen aufge­bracht werden müssen, werden gem. SIA 269/8 abhängig von dem Erfül­lungs­faktor und der durch­schnitt­lichen Perso­nen­be­legung des Gebäudes (Nutzung) definiert. Es handelt sich dabei um die Inves­ti­ti­ons­summe, die in jedem Fall aufge­bracht werden muss, welche jedoch auch das Kosten­limit, welches als «verhält­nis­mässig» gilt, deckelt.

«Als verhält­nis­mässig gelten Massnahmen bis 10 Millionen Franken und als zumutbar gelten Massnahmen bis 100 Millionen Franken pro geret­tetem Menschen­leben.» Zitat aus [6]

Generell ist das anzustre­bende Ziel eine Annäherung an den Erfül­lungs­faktor von α= 1.0. Bei bestehenden Gebäuden ist dies jedoch oft nur mittels unver­hält­nis­mässig grosser Inves­ti­tionen möglich, weshalb für diese Fälle der höchst­mög­liche α‑Wert unter Einhaltung des Kosten­limits angestrebt werden soll. In der folgenden Abbildung werden die Inves­ti­ti­ons­vor­gaben nach SIA 269/8 exempla­risch für ein Gebäude mit 1’000 m2Nutzfläche für unter­schied­liche Nutzungen und Erfül­lungs­grade darge­stellt. Es lässt sich erkennen, dass die notwen­digen Inves­ti­tionen mit abneh­menden Erfül­lungs­graden stark zunehmen und ein beträcht­liches Ausmass annehmen können.

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Mehrstufige, selektive Erfassung

Von Eigen­tümern grosser Gebäude-Portfolios wird verlangt, dass eine syste­ma­tische Erfassung und Priori­sierung der Gebäude bezüglich deren Erdbe­ben­si­cherheit erfolgt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat für diesen Zweck im März 2020 einen neuen Leitfaden für ein stufen­weises Verfahren zur Identi­fi­kation von kriti­schen Gebäuden innerhalb grosser Gebäu­de­be­stände heraus­ge­geben [4]. Der Leitfaden sieht ein dreistu­figes Vorgehen vor:

  1. In der ersten Stufe (Eingrenzung) wird das zu unter­su­chende Portfolio definiert und die Ziele sowie die Strategie der Eigen­tümer festgelegt.
  2. In der zweiten Stufe (Bewertung) werden für die ausge­wählten Gebäude mithilfe eines syste­ma­ti­schen Erfas­sungs­pro­zesses erste Kennzahlen ermittelt, anhand derer im Anschluss eine Priori­sierung des Gebäu­de­be­stands erfolgen kann.
  3. In der dritten Stufe (Überprüfung) wird für die Gebäude mit höchster Priorität von einem Bauin­ge­nieur eine statische Überprüfung durch­ge­führt, bei welcher der Wert des Erfül­lungs­faktors «α» hervorgeht. Zudem werden die erfor­der­lichen Massnahmen eruiert und geplant.

Priori­sierung von grossen Gebäu­de­be­ständen bei Wüest Partner

Wüest Partner bietet seinen Kunden eine Vielzahl an Dienst­leis­tungen rund um das Thema Immobilien an. Dazu gehört auch die Auswertung von Immobi­li­en­port­folios bezüglich Erdbe­ben­si­cherheit (Stufen 1 und 2 des oben beschrie­benen mehrstu­figen Verfahrens). Gerne infor­mieren wir Sie bei Interesse darüber, wie wir Ihnen dabei behilflich sein können, Ihr Portfolio auf den richtigen Weg zu bringen. Unsere Fachspe­zia­listen stehen Ihnen auch bei weiter­füh­renden Fragen zum Thema Erdbe­ben­si­cherheit beratend zur Seite.

Quellen

[1] Erdbe­ben­risiko grosser Gebäu­de­be­stände; Stufen­weises Verfahren zur Identi­fi­zierung von kriti­schen Gebäuden; Bundesamt für Umwelt (BAFU); Bern, 2020

[2]  Norm SIA 269/8 (2017): Erhaltung von Tragwerken – Erdbeben, Schweizer Ingenieur- und Archi- tekten­verein SIA; Zürich, 2017

[3]  Schwei­ze­ri­scher Erdbe­ben­dienst, http://www.seismo.ethz.ch/de/home/

[4] https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/erdbeben/uw-umwelt-wissen/erdbebenrisiko-grosser-gebaeudebestaende.pdf.download.pdf/UW-2014-D_ErdbebenGebaeudebestaende.pdf

[5] Erdbe­ben­si­cherheit von Gebäuden – Rechts- und Haftungs­fragen; Stiftung baudyn; 2010

[6] Erdbe­be­n­er­tüch­tigung von Bauwerken – Strategie und Beispiel- sammlung aus der Schweiz; Wenk T.; Umwelt-Wissen Nr. 0832, BAFU, Bern 2008

[7] Rechts­fragen im Zusam­menhang mit der Gebäu­de­be­ur­teilung nach Erdbeben; Verfas­sungs­grund­lagen, Notrecht, Haftung von Experten; Bundesamt für Bevöl­ke­rungs­schutz BABS; Dezember 2014

[8] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/naturgefahren/fachinformationen-erdbeben/schutz-vor-erdbeben/erdbebengerechtes-bauen/erdbebensicherheit–baugesetze-und-baubewilligungsverfahren.html